H2 oder H3?
Ein Tag vor Silvester. Mir fällt wieder ein, dass ich mir eine neue Matratze kaufen möchte.
Ich schlafe schon viel zu lange auf einem Stein. Ohne Buckel oder Furchen zwar aber die Bezeichnung einer Schieferplatte kommt dem Härtegrad meiner Schlafstätte wohl am nächsten.
Eine mir bekannte Matratzenkette liefert bis Ende des Jahres kostenlos und würde die alte Schiefergeschichte direkt kostenlos zurück in den Berg tragen. Klingt gut. Ich geh mal hin. Verschiedene Matratzenmodelle werden vorgestellt. Die Bettgestelle für die Präsentation sind in silbermatt oder Buche Nachbildung so ausgewählt, dass kein Mensch mit Geschmack solche zu Hause stehen hat. Im Gang zwischen Kaltschaum H2 und Federkern H3 sitzt eine alte Dame auf ihrem Rollator. Ihre Begleitperson liegt neben ihr bereits Probe und erstattet Bericht: „Die hier ist eher härter als die da vorne. Aber die hier neben ist nix, da kriegt man ja einen steifen Hals!“ Ich schaue mich um. Teppichboden und Holzvertäfelung der Ladeneinrichtung sind eher einfach gehalten oder sind gar nicht aus Holz. Vielleicht kooperieren die mit einem Baumarkt, der animiert, alles selbst zu machen. Jajajaja jippieh jippieh jei. Der Matratzenfachverkäufer trällert mir zu: „Liegen Sie gerne alles mal durch und ziehen sie ruhig auch ihre Jacke aus. Das kommt der Schlafsituation am nächsten! Ich bin sofort bei Ihnen.“ Er bedient erst noch die Rollator-Oma. Ach so, ihre Begleitperson liegt für sie Probe. Die Tipps vom Enkel gibt sie direkt an mich weiter. Genial. Ist wie bei „Stille Post“. Hoffentlich ist das Ergebnis nicht so verfälscht. Die Rollator-Oma füttert mich weiter mit Tipps, während ihre Begleitung sich weiter durch die Federkerne liegt. Sie berichtet in breitem Hamburgisch : „Man kann ja auch im Fernseh´n kaufen. Aber da hat man das ja vorher nich anprobiert. Hab ich einmal gemacht - mit Schuhe… denn war´n die nichts und das Geld futsch!“ Aha.
Ich lege meine Jacke auf einen Matratzenturm und beginne mit dem Probeliegen. Ich bin Bauchschläferin, möchte es aber verhindern, mit meinem Gesicht die Ausstellungsstücke zu berühren. Das ist eine hohe Kunst. Die Yoga Asana Cobra ginge, aber die mache ich eher nicht in der Nacht. Ich überlege mir etwas Authentisches. Leider fällt mir nichts ein. Auf jeder Matratze liegt mindestens ein Kissen und meine Handtasche habe ich auch noch um, die will ich nicht irgendwo unter ein Lattenrost schieben. Also liege ich mit Stiefeln und Handtasche eben auf dem Rücken. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich in meinem Schlafzimmer ohne Handtasche auf dem Bauch, noch dazu im Dunkeln in meinem Bett liege, da kommt Oma angerollt und sagt: „Na, bequem nich?“ Ich fange mit der Vorstellungskraft nochmal von vorne an und stelle fest, dass es nicht klappt.
Neben der Oma steht an meinem Kopfende eine Kleinfamilie Schlange. Sehr sympathisch und in Zeitlupe sagt er: „Alles gut. Keinen Stress“ und gestikuliert in Symbiose mit seinem Atem etwas, das nach Hektik aussieht. Ich mache mir ÜBERHAUPT keinen Stress - sage ich mir. Schliesslich ist das eine Entscheidung für die Zukunft, die Ruhe erfordert. Meine Schweissflecken unterm Arm werden immer größer und ich frage mich, wie ich das Probeliegen in Bauchlage hinbekommen soll, ohne mit der Achselzone die Oberfläche der Matratze zu berühren. Die Plastikplane gibt es schliesslich nur am Fußende. Mein Straßendreck vom winterlichen Dauerregen hängt aber bereits in der Auslegeware. Ich bräuchte jetzt was für oben. Ich denke an alle öffentlichen Saunas und die dazugehörigen Schilder: KEIN SCHWEISS AUFS HOLZ!
Ein Pärchen betritt die Filiale mit Vater von ihr. Die ziehen offenbar zusammen und haben den Papa mal für´s Matratzen aussuchen mitgenommen. Haben die wahrscheinlich bei den Fliesen fürs Wohnzimmer auch gemacht und gute Erfahrung gesammelt. Alle drei beginnen Probe zu liegen.
Ich muss - trotz der angespannten Situation schon die ganze Zeit lachen und würde das gerne mit jemandem teilen. Bedauerlicherweise ist keiner da. Die ganze Situation ist absurd und ich muss immer an Paola und Kurt Felix denken. Leider bin ich nicht prominent, so dass ich nicht davon ausgehen kann, dass jemand das Fernsehteam von „Verstehen Sie Spaß?“ von 1992 bestellt hat. Ich hab eine super lustige Idee und rufe: „Haha, ist ja hier wie bei Loritot!“ Evelyn Hamann im Bettengeschäft kennt hier aber offenbar keiner. Ich lache alleine. Der Verkäufer kommt zu mir und versucht zu beraten: „Diese hier ist eher was für mich. Ich muss meine 95 Kilo ja auch gut auf der Matratze verteilen, da nehme ich eher H3 oder sogar H4. Ich verstehe nur Bahnhof. Kenne grad noch H2O und das Gewicht des Verkäufers im Pullunder interessiert mich wenig, da ich nicht 95 Kilo wiege. Ich dachte an eine Matratze für mich. Auf seine Frage, ob ich alleine schlafe, suche ich eine Antwort, die dem Matratzenkauf dienlich ist. Gibt es eine Antwort zwischen ja und nein? Sowas wie: „Äh, meistens. Ab wieviel Nächten zu zweit muss ich den Härtegrad anders wählen, als wenn ich alleine schlafe? So 300 Nächte schlaf ich wohl alleine. Selten mal kommt mein Sohn. Der ist aber noch nicht ausgewachsen und nimmt stetig an Gewicht zu. Wie ist das dann mit der Gewichtsberechnung zwischen H2 und H4? Ich finde das jetzt doch nicht mehr so lustig wie bei Loriot. Wie soll ich das denn jetzt spontan entscheiden? Mein Rock ist zu eng, um bäuchlings das linke Bein anzuwinkeln, um noch einmal zu überprüfen, ob ich bei H4 das Lattenrost am rechten Hüftknochen spüre oder bei H2 die Dame auf dem Rollator neben mir nicht mehr sehe, weil ich zu tief einsinke…
Ich kann manche Entscheidungen im Leben nur schwer alleine treffen. Aber ich treffe sie: H3 ist die goldenen Mitte und die kaufe ich jetzt. Das ist wie mit dem Bikini in zwei Farben: wenn ich den mit den Zebras drauf nicht mehr sehe, gefällt mir der mit Prilblumen-Optik eh viel besser.
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