Schön, dich zu sehen
Neulich habe ich einen Bekannten gefragt, wie es ihm geht. Wir sehen uns manchmal beim Yoga, kennen uns kaum. Meine an ihn gerichtete Frage im Flur, zwei Minuten vor Kursstart nach langer Zeit ohne Kontakt zu ihm war oberflächlich. „Hey, wie geht´s Dir?“. Oberflächlich. Ich mag Oberflächlichkeit nicht.
Er trug etwas Schweres von A nach B, lächelte mich an und antwortete freundlich im Vorbeigehen: „Puh, diese Frage! Was soll ich darauf antworten?“ Er hatte recht. Meine Frage war eher rhetorisch als emphatisch und ein „Schön, dich zu sehen“ oder ein Lächeln wäre ehrlicher gewesen als dieser Satz, der tatsächlich nur als Floskel zu verstehen sein konnte. Seine ehrliche Reaktion auf meine Frage wirkte auf mich therapeutisch. Ich stelle sie nicht mehr im Vorbeigehen. Und wenn, dann meine ich, was ich sage und mein Gegenüber bekommt Gelegenheit, zu antworten. Manchmal ist ein „Hallo“ genug.
Ich wünsche mir, dass wir uns zuhören, miteinander reden und uns Trost schenken. Ich möchte Mut zusprechen oder vielleicht auch mal alles stehen und liegen lassen, um bei jemandem zu sein, der mich gerade braucht. Ständig finden wir Gründe und Ausreden dafür, Zeit mit Menschen zu verbringen, die wir lieben oder unsere Hilfe brauchen.
Mein guter Freund ist gestorben. Er hat das Leben nicht mehr ertragen und sich selbst für diesen aggressiven Weg entschieden. Viele Gespräche und Dasein haben ihn nicht erreicht. Ich spüre keine Vorwürfe oder Gedanken des Versagens. Was ich spüre ist eine schmerzhafte Trauer, die ich zeitweilig schwer aushalte. Ich habe auf seiner Seebestattung ein schönes Erlebnis gehabt. Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit mir teilweise fremden Menschen. Wir haben zusammen geredet, erinnert, geweint, gelacht. Wir hatten etwas, das uns gemeinsam bewegt. Ich hatte das Gefühl, unsere Herzen waren uns zugewandt. Ich wünsche mir, dass wir im Alltag auch wieder dichter zusammenrücken und uns zuhören und uns ansehen. Ich wünsche mir, dass die Menschen, die sich einsam fühlen, die Möglichkeit haben, ihre Einsamkeit mitzuteilen, weil da jemand ist, den diese Einsamkeit interessiert. Und ich wünsche mir, dass wir einsame Menschen aus ihrer Einsamkeit holen. Um Hilfe zu bitten ist eine der schwersten Aufgaben, die ich auch lernen musste und die mir oft immer noch nicht gelingt.
Ist es nicht schön, jemandem zu sagen, was man an ihm mag? Eine Charakterstärke, ein Blick, Empathie. Einen Versuch ist es wert.