Spendenunbereitschaft
Ich fühle mich schon beim Betreten des Lebensmittel Einzelhandels schlecht, weil ich dem wohnungslosen, zahnlosen, bekrückten Menschen vor der Tür nichts in den zerknitterten To Go Becher werfe. Noch vor der Station mit den Einkaufswagen gleich hinter dem „Toy- Kapsel-Automaten“ falle ich fast über einen Pappmaschee-Stand mit der Aufschrift 112 und werde charmant gefragt, ob ich eine Minute Zeit hätte. Auch diese nehmen ich mir nicht und sammle den zweiten „Schlechtes-Gewissen-Punkt“ an diesem Tag in nur 30 Sekunden. Ich bin in Zeitnot und ich möchte jetzt keine Spende abgeben- weder in einen Becher, noch per Dauerauftrag mit meiner IBAN für 112. Ich fühle mich mit meiner Entscheidung schlecht und entscheide mich deshalb als Wiedergutmachung für mein Ego für ein Brötchen für den da draußen. Beim Selbstbedienungs-Brot-Stand, breche ich mir fast die Finger: Eigentlich hat man die Wahl zwischen Brötchenzange und XXL Einmalhandschuh. Letzterer ist aus oder gar nicht vorgesehen. Ich öffne also mit der einen Hand, die bereits die Papiertüte mit Sichtfenster längsseitig hält die Plexiglasklappe, mit der anderen versuche ich, das Brötchen mit der Zange zu greifen und in meine Tüte zu füllen. Nach drei Brötchen merke ich, dass ich doch die Medium Tüte hätte nehmen sollen, da kommt - wie bei allen modernen Villeroy und Boch Toilettendeckeln - die Plexiglasklappe in Slow Motion Richtung Ausgangsposition zurückgeschwebt. Brötchen Nummer vier fliegt mir aus der Zange auf den Boden und kullert Gott sei Dank unter das Marmeladenregal. Ich glaube, keiner hat es gesehen! In diesem Moment reißt das Sichtfenster aus der Papierverankerung meiner Brötchentüte. Reflexartig klemme ich mir die Tüte an den Busen und rette die verbliebenen Brötchen vor der 70er Jahre Fliese. Die Zange fliegt auf den Boden. Ich hebe sie auf und überlege, wohin ich sie nun stecken soll. Zurück in die Vorrichtung oder Bescheid sagen, dass sie versehentlich durch Fussbodenkontakt mit Schuhsohlen-Bakterien verunreinigt ist? Da sehe ich das einsame Brötchen unterm dem Marmeladenregal. Mein schlechtes Gewissen meldet sich: „Heb es auf und sag Bescheid, du hast es nicht bezahlt…!“ Ich gucke, ob jemand guckt und gehe zur Kasse. Dort bezahle ich drei Brötchen in der zerrissenen Tüte und gehe mit allen drei Brötchen nach Hause, ohne bei dem vor der Tür anzuhalten. Mit einem sehr sehr schlechten Gewissen schmiere ich mir ein Honigbrötchen und finde, dass das mit dick Butter drunter um Welten besser schmeckt. Die liegt leider noch im Kühlregal. Hab ich vergessen einzukaufen. Nachts kann ich nicht einschlafen, weil ich an die Brötchenzange denken muss. Ich hatte sie nach Bodenkontakt nur grob an meinem Rock abgeklopft und dann mit all den Polyesterfusseln zurück in die Vorrichtung gesteckt.