Stromlos
Ich arrangiere mich mit Corona. Rund um die Uhr bereite ich Nudeln, Pfannkuchen, Gesundes und Spinat zu. Home Schooling läuft praktisch von alleine, denn mein 8 jähriger Sohn lädt völlig selbständig Mails, Wetransfer links, Downloads und YouTube-Videos von einem seiner eigenen Endgeräte runter. Danach hilft er mir im Haushalt, lernt zwei Musikinstrumente und räumt sein Lego auf, damit ich abends im Halbdunkel nicht barfuss reintrete. Waschmaschine und der Geschirrspüler machen den Rest. Das Haus duftet herrlich zitronig, denn das neue Staubsaugerdeo verströmt himmlische Frische. Dass andere Alleinerziehende an ihre Grenzen kommen, kann ich bei der bisschen Alltagsbewältigung überhaupt nicht nachvollziehen. Manchmal muss ich noch ein bisschen arbeiten. Aber mein Job macht mir schließlich so viel Spaß, dass das gar nicht ins Gewicht fällt. Easy Going! Während ich für die Uni noch nebenbei Videos dolmetsche, deren Inhalt ich auf Anhieb problemlos verstehe, baut mein Sohn Insektenhotels und Vogelhäuser im Garten. Wenn es zeitlich mal eng werden würde, hätte ich auf jeden Fall Antipasti und kleine Amuse Geul da. Oft habe ich aber schon am Vormittag eine Lasagne oder Kohlrouladen vorbereitet - geht ja fix. Die Sonne scheint.
Meine ebenfalls zu Hause gebliebenen Nachbarn in Kurzarbeit oder Langeweile, gekündigt oder mit Burn-Out fragen vorsichtig an, ob wir nicht mal alle zusammen Yoga im Garten machen wollen. Dabei richten sie den Blick erwartungsvoll auf mich. Ich stimme sofort zu und realisiere, dass ich die einzige Yogalehrerin in diesem Territorium bin. Gebongt, die erste Yoga-Stunde um 8:00 Uhr morgens startet pünktlich mit Vogelgezwitscher auf der Wiese neben der Absperrung.
Lewe schläft noch, weiß aber wo Brot und das, was drauf soll, zu finden ist. Für alles ist gesorgt und ich begebe mich auf die Matte. Wir haben uns neben dem rot-weißen Flatterband neben der Sandkiste ein lauschiges Plätzchen gesucht und uns in alle Richtungen verrenkt. Außer den Vögeln und dem Rauschen der Bäume im Wind steht der Endentspannung nichts im Wege.
Da ertönt ein zaghaftes Rufen: „Mama?“ Lewe weiß, dass ich eine Störung in bestimmten Situationen nur akzeptiere, wenn es brennt oder irgendwer sehr doll blutet. Vor mir steht Lewe im Schlafanzug mit einer Gabel in der Hand. Ich sehe keine Rauchschwaden und kann nirgendwo Feuer riechen. „Mama, im ganzen Haus ist kein Strom!“ „Ach was! Einfach so?“ „Also, ich habe getoastet.“ PAUSE. „Dann habe ich nur einmal ganz kurz das Toast mit der Gabel runtergedrückt.“ „Du hast mit der Gabel im Toaster gestochert???“ „Nein, nicht gestochert, ich habe nur das Toast berührt, nicht die Wände.“ Aha. Die Endentspannung wird kurz unterbrochen, ich gehe zum Unglücksort und begutachte den Schaden. Ich hebel die Sicherung wieder rein, um einen Toaster-Check vorzunehmen. Äußerlich sieht das Gerät noch ganz gut aus. Im Leerlauf-Durchgang toastet es die hinterbliebenen Krümel einwandfrei. Ich verbiete die Gabel und erkläre noch einmal, dass beim Toastvorgang alles vollautomatisch abläuft und der Benutzer lediglich warten muss, bis die gewünschte Bräunung erreicht ist und das Toast automatisch aus der doppelwandigen Grillpresse ausgeworfen wird. Ein Eingreifen mit externen Hilfsmitteln ist nicht notwendig und wird vom Hersteller meiner Erinnerung nach nicht empfohlen. Nachdem die Unterweisung beendet ist, begebe ich mich zurück in Savasana.
Nachdem die Yogastunde beendet ist, bereite ich einen Datteldip für das verbotene „Come together- mit Abstand“ im Garten vor. Man vermengt dafür lediglich Datteln mit Frischkäse. (Die Quiche und der Käsekuchen sind längst fertig). Als die zähe Pampe so richtig schön in den Messern des Smoothiemakers hängt, riecht es verschmort und das Ding raucht. Da mir die Lust an der Benutzung meiner Küchengeräte für heute vergangen ist, beende ich sämtliche Essenzubereitung und telefoniere mit meiner Freundin Ute. Lewe kommt und gestikuliert mit seiner Wasserpistole und einem haushaltsüblichen 10l-Eimer. Ich höre sowas wie „…kleine Wasserschlacht…“ Ich nicke geistesabwesend in seine Richtung. Am Telefon tauschen wir kurz Alltägliches aus, schliesslich ist auch sie mit den Kindern im Home Schooling-Cooking-Alltagsbewältigungs-Firlefanz verhaftet. Ute hat Lustiges zu berichten: Am Vormittag wollte sie nur mal so zum Üben eine Online-Video-Konferenz eines Anbieters ausprobieren, logte sich ein und fragte ihren Sohn: „Gib mir mal einen Passwort-Vorschlag.“ Der einfallsreiche Sohn musste nicht lange nachdenken und nannte Codewort: „Pups“. Schwups eingelogt, landeten die beiden in einer Videokonferenz in der Schweiz! Die anwesenden Damen fragten peinlich berührt nach dem geheimen Passwort und dieses wurde freudestrahlend vom Kind genannt: „Pups!“ Die Schweizer Damen erröteten, meine Freundin samt Sohn entschuldigten sich für die Störung und drückten den Button „Meeting verlassen“.
Wäre mein Tag nicht eh schon fantastisch und sorgenfrei, hätte ich sagen können: „that makes my day!“ Nachdem ich aufgelegt habe, gehe ich in den Garten. Das Wasserpistolensortiment wurde von 6 Nachbarskindern aufgestockt. Auch leere Spüliflaschen eignen sich hervorragend für „kleine Wasserschlachten“. Vier Kinder sind nass bis auf die Socken, kreischen und jauchzen vor Vergnügen und haben den Spass ihres Lebens. Ich frage mich, wie man „kleine Wasserschlacht“ definiert, hole Wechselklamotten und überlege, wann ich zuletzt geduscht habe. Ich hole ein Stück Seife und gehe in den Garten…